Stellungnahme des Familienbundes zum Entwurf eines Thüringer Gesetzes über die Neuregelung der Kindertagesbetreuung (Drucksache 6/3906)

· Stellungnahmen

Der Familienbund der Katholiken im Bistum Erfurt und Freistaat Thüringen nimmt Stellung im Rahmen der Anhörung zur Drucksache 6/3906:

  1. Zu § 1 Nr. 1 (1)

Die Anhebung der Altersgrenze von zwei auf drei Jahre bei der Einstufung der Einrichtung als Kinderkrippe sehen wir kritisch. Würde dadurch die Anhebung der Elternbeiträge auf das Niveau der Krippenzeit ermöglicht würde es zu einer Mehrbelastung der Familien führen. Das würde dem angestrebten Ziel der Entlastung von Familien durch die Elternbeitragsfreiheit im letzten Kindergartenjahr zuwiderlaufen. 

  1. Zu § 3 Nr. 1

Zur Erfüllung der Ansprüche nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 soll ein bedarfs- und qualitätsgerechtes Betreuungsangebot mit bedarfsgerechten Öffnungszeiten zur Verfügung stehen. Diesbezüglich stellt sich die Frage, wer den Bedarf bestimmt. 

  1. Zu § 7 Nr. 5

Die angesprochene Zusammenarbeit zwischen dem pädagogischen Personal der Kindertageseinrichtung und der Schule ist zu begrüßen, jedoch hinsichtlich der Einbeziehung der Eltern zu ergänzen. Eine begrenzt mögliche, gute, vorbereitende Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtung und pädagogischem Schulpersonal kann einen guten Beitrag zum erfolgreichen Übergang leisten, diesen jedoch nicht im Sinne einer Vertragserfüllung garantieren.

 

  1. Zu § 12 

Bezüglich der Elternmitwirkung werden zunächst die grundsätzlichen Ausführungen des Familienbundes in Erinnerung gerufen:

„Die Elternmitwirkung gehört zu den zentralen Vollzügen aller familienunterstützenden Angebote. Insofern sind alle Regelungen, die diese Mitwirkung tatsächlich und erfahrbar erweitern, aus Elternsicht zu begrüßen. Dabei kommt der unmittelbaren an der Einrichtung realisierten Elternmitwirkung – sowohl gegenüber den einzelnen Eltern als auch gegenüber den im Elternbeirat organisierten Interessen der Eltern – eine fundamentale Bedeutung zu. Sämtliche Regelungen müssen sich danach ausrichten, inwieweit sie zur Stärkung dieser Elternmitwirkung beitragen.“

Der Gesetzesentwurf konzentriert die Elternmitwirkung auf die Bildung eines Elternbeirates, der durch den Träger rechtzeitig und umfassend über wesentliche Entscheidungen in Bezug auf die Kindertageseinrichtung informiert wird. Diesbezüglich gilt es zum einen anzumerken, dass „rechtzeitig“ und „umfassend“ Begriffe sind, die nicht genau definiert sind. Entsprechend wird gefordert, dass die Träger verpflichtet werden, diese Formulierungen spätestens in der Konzeption der Kindertageseinrichtung zu konkretisieren. Zum anderen ist im Gesetzesentwurf differenzierter zwischen Information und Anhörung zu unterscheiden. Es sollte klar formuliert werden, über welche Aspekte der Elternbeirat zu informieren oder anzuhören ist. Insgesamt ist hervorzuheben, dass sich die echte Mitwirkung der Eltern nicht lediglich auf deren Information beschränken darf; Eltern sind anzuhören und mitwirken zu lassen. Dies darf sich auch nicht lediglich auf die Aspekte beschränken, die finanzielle Auswirkungen auf die Eltern haben.

Neben der Mitbestimmung der Eltern bei der Betreuung, Bildung und Erziehung aller Kinder ist auf die Mitbestimmung der Eltern bei der Betreuung, Bildung und Erziehung des eigenen Kindes hinzuweisen. Diese ergibt sich zwar aus § 7 Nr. 3, jedoch sollte diese auch explizit erwähnt werden. Im Vordergrund sollte dabei das regelmäßige ebenso wie das nach Bedarf ermöglichte Angebot des (Entwicklungs-)Gespräches stehen. Eltern sind grundsätzlich bei der Planung oder Veränderungen, die ihr Kind betreffen, zu beteiligen.

  1. Zu § 16 Nr. 2

Bezüglich der Qualität der Betreuung ist festzustellen, dass diese wesentlich vom Personalschlüssel abhängt. Eine positive Änderung im Vergleich zum derzeit gültigen ThürKitaG ist hier leider nicht festzustellen. Um eine bedarfsgerechte Betreuung, Versorgung und Förderung der Kinder entsprechend der einzelnen Altersgruppen zu gewährleisten und dabei die Arbeitsbelastung für Erzieherinnen und Erziehern angemessen zu gestalten, muss der Betreuungsschlüssel angehoben werden. Es ist unumgänglich die Forderungen der LIGA („Qualität hat Vorfahrt“) weiter zu diskutieren und diese perspektivisch in Thüringen umzusetzen. Die jetzige Novelle sollte genutzt werden um erste Schritte zu gehen. Die bisher vorgesehenen Änderungen sind nicht ausreichend.

 

  1. Zu § 24

Erhalten Träger Zuweisungen bzw. Zuwendungen des Freistaats zur Erstattung von Aufwendungen für Kindertageseinrichtungen, so wie sie der Gesetzesentwurf vorsieht, sind diese im Verfahren stets der Höhe nach nachvollziehbar zu begründen. Einer haushaltsrechtlich begründeten Kostenerstattung müssen einrichtungsbezogene, nachprüfbare Kostenkalkulationen und Abrechnungen der Träger zugrunde liegen, die zugleich den regionalen Differenzierungen gerecht werden bzw. diese berücksichtigen. Neben diesem haushaltsrechtlichen Erfordernis sind diese Daten aus Gründen der Transparenz zu erheben und nachzuweisen bzw. ist den Bürgern im Rahmen des Rechts auf Information die Kenntnisnahme der Höhe des Erstattungsbetrages pro Kindertageseinrichtungsplatz im Vorschuljahr zu gewährleisten. Diese Kenntnis über die tatsächlichen Aufwendungen eines Trägers pro Kindertageseinrichtungsplatz und -jahr ist zur Vermeidung von Unter- oder Überfinanzierung durch einen oder mehrere Kostenträger innerhalb des Gesamtfinanzierungskonzeptes der Einrichtung erforderlich. Dies ist nicht nur aus haushaltsrechtlichen, sondern insbesondere aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit zu gewährleisten.

Zugleich dürfen die Kosten eines Kindertageseinrichtungsplatzes bzw. eines diesbezüglichen Erstattungsbetrages nur auf der Grundlage einer verlässlichen Datenbasis pauschalisiert werden; solch eine muss differenzierte, trägerbezogene Kostennachweise pro Platz und Jahr über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren umfassen.

Diese Kostentransparenz ist dringend notwendig, um nachvollzieh- und überprüfbar auszuschließen, dass Kosten und Beitragsforderungen von dem beitragsfreien Jahr auf die anderen (beitragspflichtigen) Jahrgänge verlagert werden.

  1. Zu § 29 Nr. 1

Die Einführung des Einvernehmens mit den Kommunen ist nicht verfassungsfest. Den Kommunen darf an dieser Stelle keine gesetzliche normierte Eingriffskompetenz eingeräumt werden. Auch politisch ist die Aussage der Begründung verfehlt, da die freien Träger nicht dem politischen Gestaltungswillen kommunaler Mandatsträger und Wahlbeamter unterliegen. Ebenso ist es nicht tragbar, rechtlich gegen die freie Entscheidung von Eltern für einen freien Träger vorzugehen. Insbesondere hier zeigt sich, dass die Reform nicht von den Interessen der Kinder und ihrer Eltern ausgeht, wenn sie das nachfrageorientierte Angebot für die Kinderbetreuung sowie die Entscheidung für eine Kindertagesstätte in freier Trägerschaft auf diese Weise beeinflusst bzw. belastend differenziert.

  1. Zu § 29 Nr. 2

Die Begründung dieses Absatzes geht von der finanziellen Belastung der Kinder für ihre Familien aus. Eine in dieser Weise reduzierte Darstellung der Elternverantwortung verkennt die in der Regel hohe Leistungs- und Fürsorgebereitschaft von Eltern. Eltern sorgen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit für ihre Kinder; Instrumente des Familienleistungsausgleiches zielen dem Grunde nach auf eine verfassungsgemäße Berücksichtigung ihrer Aufwendungen im Steuer- und teilweise auch im Sozialversicherungsrecht: Eltern brauchen eine finanzielle Gestaltungsfreiheit, um letztendlich auch die Wahlfreiheit der Betreuungsformen ihrer Kinder zu praktizieren. Eine Formulierung, die vornehmlich auf Kinder als „eine finanzielle Belastung der Familien“ fokussiert, entspricht nicht der Intention der Familien.

  1. Zu § 30

Die Begründung des Gesetzesentwurfes vermittelt den Eindruck, dass durch eine Beitragsfreiheit der Kinderbetreuung in einer Kindertageseinrichtung im letzten Jahr vor Schuleinführung das Ziel der Chancengleichheit hinsichtlich des Bildungs- und Kompetenzniveaus erreicht werden könne. Das Ziel der Chancengleichheit kann aber nicht lediglich durch eine Beitragsfreiheit gewährleistet werden. Sicherlich muss es Eltern auch finanziell ermöglicht werden, ihr Kind in einer Kindertageseinrichtung betreuen zu lassen, jedoch ist in erster Linie eine gezielte und individuelle Förderung des Kindes in den Vordergrund zu stellen.

Zudem sind finanzielle Entlastungen sowohl durch § 90 Abs. 3 SGB VIII als auch durch die Option des Sonderausgabenabzuges von Kinderbetreuungskosten im Einkommenssteuerrecht geregelt. Die künftigen Minderausgaben der örtlichen Sozialhilfeträger für diese Leistung nach dem SGB VIII werden laut Gesetzesentwurf mit 4,5 Millionen Euro kalkuliert. Die Mehreinnahmen des Freistaats (inkl. Gemeindeanteil) infolge einer höheren Besteuerung von Eltern, welche die Kita-Elternbeiträge nicht mehr steuerentlastend geltend machen werden, sind vorliegend weder benannt noch berücksichtigt.

Es gilt zu bedenken, dass z. B. die Stadt Erfurt hier keine Einsparungen durch Minderausgaben in Umsetzung des § 90 Abs. 3 SGB VIII erzielen wird, da aufgrund der Umverteilung der Kindertageseinrichtungsgebühren mittels einkommensorientierter Staffelung nur verschwindend geringe Erstattungen nach SGB durch das Land erfolgen (rd. 44.000 Euro) und die solidarische Umverteilung zugunsten von Eltern mit niedriger Leistungsfähigkeit zu Lasten von Familien mit mittlerem bzw. etwas höherem Einkommen erfolgt. Dies steht im gravierenden Missverhältnis zu anderen Kommunen, gerade kreisangehörigen Gemeinden gegenüber Landkreisen, die einen substantiellen Anteil an steigenden Elternbeiträgen erstatten müssen. Die Beitragsfreiheit wird daher wie in Erfurt keine Entlastungswirkung erzielen, sondern eine Verlagerung der Belastung durch steigende Elternbeiträge in den anderen Jahrgängen der Kindertageseinrichtung. Es liegen keine Anreize für die Kommunen vor, diese Umverteilung zu verringern. Hauptbelastungsträger werden schließlich Familien mit mittlerem und höherem Einkommen sein, die zusätzlich eine einkommensorientierte Beitragsstaffelung schultern müssen, deren Auswirkungen durch einen einkommensteuerentlastenden Sonderausgabenabzug ggfs. nur zu einem kleinen Anteil kompensiert werden.

Grundsätzlich kann demnach infrage gestellt werden, inwiefern dieser Gesetzesentwurf tatsächlich auf Gründen des Gemeinwohls beruht und demnach verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Die Notwendigkeit dieses Eingriffes in das Recht der Gemeinden, um dem überörtlichen Gemeinwohlinteresse gerecht zu werden, sieht der Familienbund durch die dem Gesetzesentwurf zugrundeliegende Begründung nicht gegeben. Sicherlich liegt es im überörtlichen Interesse, allen Kindern vor Schuleintritt die Möglichkeit zu heben, vermittelbare Bildungsfertigkeiten sowie soziale Kompetenzen zu erlangen, doch nicht auf Kosten der Gemeinden sowie der Familien mit mittlerem und höherem Einkommen. 

  1. Zu § 30 Nr. 2

Die Pauschalierung des zusätzlichen Landeszuschusses in Form von Durchschnittbeiträgen ist nicht geeignet, um die eklatanten Unterschiede sowohl in der Höhe der Elternbeiträge als auch (dem folgend) in der Höhe der Erstattungen nach § 90 Abs. 3 SGB VIII auch für die weiteren Beitragsjahre anreizneutral zu kompensieren.

Abschließende Bemerkungen

Der Familienbund sieht durch die vorgesehene Finanzierung des beitragsfreien Kindergartenjahres eine Gefahr der deutlichen Erhöhung der Elternbeiträge in den Jahren vor dem letzten, beitragsfreien Betreuungsjahr. Eine „scheinbare Beitragsfreiheit“ kann nur durch hohe, vorausgehende Kosten- und Finanzierungstransparenz vermieden werden.

Es ist zu erwarten, dass die Entlastungswirkung, die den Familien von der Landesregierung mit der Abschaffung des Erziehungsgeldes genommen wurde, durch die Regelungen des vorgelegten Gesetzesentwurfes nicht kompensiert wird bzw. nicht die Eltern erreicht. Zudem erhält nur die Betreuung außerhalb der Familie staatliche Unterstützung. Aus Sicht des Familienbundes sollte eine Leistung geschaffen werden, deren Vergabe nicht an die Fremdbetreuung gekoppelt ist und somit Eltern die frei Entscheidung ermöglicht ob und wie sie eine Betreuung ihrer Kinder wünschen. Familien die ihre Kinder (insbesondere unter Dreijährige) zu Hause betreuen möchten, dürfen in der Förderung nicht übergangen werden.

Die ausreichende Finanzierung der kommunalen Haushalte ist eine weitere Voraussetzung dafür, dass die hier zur Verfügung zu stellende Summe letztlich nicht der Entlastung der kommunalen Haushalte, sondern der Entlastung der Familienhaushalte dient. Insoweit ist die bereits mehrfach benannte Kostentransparenz unumgänglich.

Jede Reform eines Kindertagesstättengesetzes sollte vorrangig die Interessen der Kinder und ihrer Eltern in den Blick nehmen und in keiner Weise die Eltern in ihrer freien Entscheidung über die Form der Kinderbetreuung durch belastende Differenzierungen beschränken.

Dem Gesetzentwurf ist ein positives Familienbild zugrunde zu legen, denn Familien in Thüringen erbringen in der Fürsorge, Bildung und Erziehung ihrer Kinder maßgebliche Zukunftsleistungen. Diese Wertschätzung ist vorliegendem Gesetzentwurf in seiner Begründung keinesfalls zu entnehmen, was der Familienbund kritisiert.

Die finanzielle Entlastung von Eltern, die mit der vorgesehenen Beitragsfreiheit erreicht werden soll ist aus Sicht des Familienbundes ein wichtiges politisches Ziel, um Familien- und Kinderarmut gezielt entgegenzuwirken. Nach Erfüllung dieses Ziels des Koalitionsvertrages ist jedoch auch zu prüfen, ob und in welchem Maße qualitative Verbesserungen in der Kinderbetreuung erreicht werden können. Eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels ist unbedingt anzustreben.